Was geht noch mit 46?

Am 36. Roggenberglauf am Sonntag, 12. September 2021 auf dem Roggen bei Oensingen (Joerg Oegerli)

Die Erkenntnis, dass ein junger Athlet zwischen 20 und 30 Jahren mit einem sinnvoll aufgebauten Trainingsprogramm seine Leistungsfähigkeit innerhalb seiner genetisch vorgegebenen Grenzen kontinuierlich erhöhen kann ist sicher nichts Neues. Dass sportlich inaktive Menschen nach Aufnahme eines regelmässigen Trainings ihr Leistungsvermögen – auch absolut – steigern können, ist ebenfalls akzeptierte Tatsache. Doch wie sieht diese Situation bei gut trainierten Sportlern mit zunehmenden Lebensalter vor dem Hintergrund einer ab dem 30. Lebensjahr kontinuierlich abnehmenden VO2 max aus?

Als Sportler und Wissenschaftler beschäftigt mich diese Überlegung seit vielen Jahren. Damit einher gingen aber auch weitere Fragen: Habe ich mein genetisches Potential als Sportler je ausgeschöpft? Wann hatte ich eigentlich meinen leistungsmässigen Höhepunkt?

Die Beantwortung dieser Fragestellungen setzt zunächst einmal entsprechende Rahmenbedingungen voraus: Wille, Umfeld wie Job & Familie und v.a. Gesundheit. Es geht wohl bemerkt um eine Maximierung der Leistung im mittleren Lebensalter – d.h. der Aufwand steigt mit sinkendem Grenzertrag immer höher.

2021 war das Jahr, in welchem ich persönlich Antworten zu dieser Fragestellung finden wollte. Gestartet ins Jahr mit 45 – um es mit 46 zu beenden.

Doch der Reihe nach…

2020 war durch zwei einschneidende Ereignisse geprägt. Nach hervorragenden Start ins Jahr brachte zunächst der erste Lockdown Einiges im Alltag durcheinander. Schwimm- und Gymtraining entfielen plötzlich, Wettkampfangebote gab es keine mehr. Während es für das Schwimmtraining keinen Ersatz gab, konnte das Krafttraining im Gym durch den Aufbau eines Home-Gyms praktisch vollständig ersetzt werden.

Leider ereilte mich Anfang April 2020 ein massiver Bandscheibenvorfall. Dies war mehr oder weniger der Höhepunkt einer jahrelang bestehenden Vorgeschichte gekennzeichnet durch immer wiederkehrende Beschwerden im Bereich Rücken und Hamstrings. Nun hatte ich teils (anatomisches) Glück, zum anderen aber auch den Vorteil, dass ich bereits sehr stabil im Rumpfbereich war. Jedenfalls konnte ich die Verletzung ohne chirurgischen Eingriff und praktisch ohne Trainingsunterbruch hinter mich bringen.

Es dauerte jedoch einige Monate, bis die motorischen Einschränkungen vollends ausgeheilt waren. Dank massiven Stabi- und Coretraining (bis zu 10 h/Woche!) und dem Verzicht auf meine bis dato heissgeliebten Gym-Grundübungen Kniebeugen und Kreuzheben war ich im August 2021 praktisch wieder beim ursprünglichen Leistungsniveau. Rücken- und Hamstringbeschwerden sind seitdem auch komplett verschwunden. Leider traf mich dann Ende Oktober 2020 ein (spontaner) Darmverschluss. Selten und gar nicht lustig. Nach einer Not-OP musste ich mein Trainingsprogramm dann zunächst auf den 18 cm Bauchschnitt anpassen, was v.a. eine Reduktion des Lauf- und Gymtrainings bedeutete.

Damit startete ich praktisch mit einem Reset in die Saison 2021. Nicht ohne Grundlage, aber regenerierter – und stabiler – als in den vergangenen 20 Jahren (!) Der Lockdown 2021, der aufgrund von Home-Office Pflicht eine wesentliche Erleichterung unseres Familienlebens mit drei Kindern mit sich brachte, sowie der schneereiche Winter 20/21, welcher hervorragende Tourenbedingungen bot (und meine Basis im Ultralangzeitaudauerbereich bildet), liessen mich dann das Projekt «Was geht noch mit 46 Jahren?» starten.

Start & Bestandsaufnahme

Anfang Februar 2021 dann zunächst Bestandsaufnahme. Praktisch aus dem Grundlagentraining heraus, ohne nennenswerte Anteilen an HIT Training zur Spirorgometrie in die Rennbahnklinik. 370 Watt beim Stufentest (3 min / 30 Watt Inkremente), IAS bei 309 Watt und HF = 161 mit HF max bei 181 und rel. VO2 max 63 ml/Kg*min waren dann schon mal kein schlechter Anfang. Gut, mit 18 Jahren hatte ich eine historisch einmalige rel. VO2 max von 79.1, aber da war ich eben ein 18-jähriger Triathlon Heisssporn. Heute, mit 45 Jahren und volle 12 kg schwerer bin ich dann eher in der BMI Liga unterwegs. Zwar mit Muskelmasse wie ein Kraftsportler, doch am Oberkörper hilft diese eben kaum beim Velofahren und schnellem Rennen…

Die Monate März 2021 bis Juni 2021 waren dann zunächst durch viel Grundlagenausdauertraining im LIT Bereich gekennzeichnet. Daneben standen pro Woche etwa drei bis vier HIT Einheiten (HF > 157) auf dem Programm. In der Regel waren dies Tempodauerläufe zwischen 10 und 22 min (TL) sowie Intervalle (INT) 3 – 5 min beim Lauftraining sowie Bergzeitfahren 15 – 20 min, Intervalle 1 – 5 min sowie Sprints 20 – 45 s beim Radfahren. Training im GA II Bereich hatte keinen wesentlichen Anteil. Ich verfolgte ein typisches, polarisiertes Trainingsmodell LIT – HIT, wobei der HIT Anteil bezogen auf den Umfang Radfahren/Laufen etwa im Bereich von 5% lag. Ich orientierte mich ein bisschen an Trainingsmodellen der Brownlee-Brüder, d.h. ich absolvierte meist zwei HIT Einheiten an einem Tag um dann ein bis zwei Tage nur im GA1 Bereich zu „regenerieren“.

Von den Lauf- und Radumfängen bewegte ich mich in diesem Zeitraum bei 52 bis 62 Monatsstunden, entsprechend Kilometerumfängen von ca. 240 km/Monat Laufen und knapp 1000 km/Monat beim Radfahren.

Dazu kamen in Summe bis Juni noch 450 km Skit(hoch)ouren mit ca. 45’000 Höhenmetern und weitere ca. 50 h pro Monat an unterstützenden Aktivitäten wie Stabi&Balance und Gym. Während Stabi&Balance zu 100% auf die Ausdauerperformance ausgelegt war, dienten wesentliche Anteile des Gymtrainings dem Erhalt der Muskelmasse. 

Ein typisches Stabi & Balance Programm -idR. unmittelbar vor Lauftrainings – hat etwa diesen Inhalt:

Exemplarisch für eine Gym-Einheit ist diese Sequenz:

Insbesondere der Widerstandsteil enthält Elemente mit Maximalkraftbelastungen (single reps) – für den Ausdauersport keine unbedingt typische Belastungsform.

Ein Wort zur Muskelmasse: Es stand nie im Fokus, diese zu reduzieren um dadurch meine Ausdauerperformance zu erhöhen! Einzige Stellschraube zur Gewichtsoptimierung war der Körperfettanteil – bei einer Ausgangslage von ca. 8.5% Körperfettanteil kein grosser Spielraum.

Ab Juli 2021 erhöhte ich dann die Lauf- und Radumfänge auf 75 Monatsstunden. Dies zum einen, weil mit dem Glacier 3000 Run am 7. August ein Langstreckenbergrennen auf dem Programm stand, ich aber auch einige, nicht-wettkamporientierte, Trailbergläufe in der Planung hatte.

Trailrunning Les Jumelles – Mont Gardy, Chablais, VS

Daneben standen aber auch einige alpinistische Highlights auf dem Programm, z.B. der Migot Sporn auf die Aiguille du Chardonnet oder die Ost-West-Traversierung des Grand Combins mit den drei UIAA 4000er Gipfeln.

Aiguille du Chardonnet – Migot Sporn (S, IV)

War die Woche nach dem Glacier 3000 Run noch durch Trail- und Bergaktivitäten geprägt, veränderte ich in den Folgewochen mein Training mit Blick auf kürzere Bergrennen in zwei Aspekten: Reduktion des Gesamtumfangs und Erhöhung des HIT Anteils auf 7-10%. 

Ein typischer zwei Wochen Block mit Wettkampf am Ende sah dann z.B. so aus:

Selbstverständlich musste auch noch Platz für alpinistische Abenteuer sein – wie der Solo-Traversierung Fletschhorn-Lagginhorn via Breitloibgrat (Muskelkater galt es natürlich mit Blick auf die HIT Einheiten zu vermeiden).

Ein Wort zum Radtraining: Dieses fand 2021 nicht wettkampforientiert statt. Fokus war hier zunächst die Verbesserung meiner Fahrzeit beim Gempen Bergzeitfahren. Diese klassische Strecke im Basler Jura ist ein beliebter Gradmesser für die Performance unter Radfahrern – auf 5.02 km Streckenlänge sind bei einer fast konstanten Steigung von 6% 290 Höhenmeter zu bewältigen. Später im Jahr war dann der Leistungsvergleich zur «Szene» auf verschiedenen STRAVA Segmenten von 20s bis 5 min eher im Fokus.

Ergebnis – was war möglich?

Insgesamt nahm mein subjektives Wohlbefinden über die vergangenen sieben Monate deutlich zu. Auffallend – und auch für mich nach 30 Jahren wettkampforientiertem Sport nicht vollständig erklärbar – es gab praktisch keine Phasen ausgeprägter Müdigkeit oder merklich reduzierter Leistung. Mit Hinblick auf die Wettkämpfe gelang es mir immer, auf den Punkt die erwartete Leistung abzuliefern. Was sich jedoch zeigte war, dass ich auf bestimmten Teststrecken, auf denen ich Berg-Tempoläufe im HIT Bereich (Asphof-Schönmatt über ca. 22 min / 4.26 km, 275 Hm) oder flache HIT-Tempoläufe (Joggeli-Münchenstein 3 K über ca. 10:40 min / 2.82 km) absolvierte, praktisch keine Verbesserungen mehr erzielte. Gleiches galt für die Radperformance. Auf oben genannten Gempen-Bergzeitfahren konnte die PB von 14:24 min zwar reproduziert werden, nicht jedoch verbessert werden. Auch Anpassungen im Training, z.B. kürzere Intervalle, veränderten hieran nichts. Insbesondere kürzere Intervalle bzw. Sprints verbesserten zwar die Zeiten dort, wirkten sich jedoch auf die Ergebnisse bei längeren Distanzen nicht in Form von Verbesserungen aus.  

In Gedanken bin ich immer von einer «stillen» Reserve ausgegangen, da die Spiroergometrie am 11.02.21 eine HF max von 181 Schlägen/min lieferte. Weder im Training, noch im Wettkampf beobachtete ich aber in den gesamten sieben Monaten keinen HF Wert über 170, was natürlich Raum für Fragen liess. Hierzu aber später mehr.

Während die absolute Performance, insbesondere bei Belastungen im Bereich 10 – 20 min, praktisch keine Veränderung erfuhr, zeigten sich jedoch in anderen Bereichen deutliche Verbesserungen:

  • Ausprägung Muskelkater nach Belastungen
  • Allgemeiner Spannungszustand Muskulatur
  • Regenerationsfähigkeit
  • Dauerleistungsfähigkeit > 20 min
  • Konstanz der Leistungserbringung

Am deutlichsten waren die Veränderungen mit Sicherheit bei Berg- und Skitouren ausgeprägt. Eine Tagesskitour mit 2500 Hm von 300 m auf 3800 m – unakklimatisiert – oder eine 4000er Hochtour als 1 ½ Tagestour stellen den Organismus auf eine recht harte Probe. Trotz einer in den vergangenen zwölf Jahren generell hohen Ausdauerleistungsfähigkeit war der Tag nach derartigen Belastungen praktisch immer von den gleichen Begleiterscheinungen geprägt: Schlappheit, schlechter Schlaf, z.T. starker Muskelkater vom Abstieg, stark reduzierte sportliche Leistung. 2021 beobachte ich keine dieser Begleiterscheinungen. Am Folgetag lief der Körper wieder vollkommen normal, selbst Trainings im HIT Bereich waren möglich. Gleiches galt auch für den jeweils ersten Tag nach Wettkämpfen. Selbst nach Langstreckenwettbewerben wie dem Glacier 3000 Run fühlte ich mich bereits am zweiten Tag wieder regeneriert.

Wesentlich ist wohl die Feststellung, dass insbesondere im Wettkampf nicht nur subjektiv die trainierte Leistung abgerufen wurde, sondern auch basierend auf «harten» Fakten wie Geschwindigkeit, VAM oder HF. «Latente» Übertrainingszustände (mit welchen ich aus jungen Jahren durchaus Erfahrung hatte) die ebenfalls zu einer Nivellierung von Leistungen führen können, kann ich als Erklärung sicher ausschliessen.

Am 16.09.2021 ging es dann zur erneuten Bestandsaufnahme: Spirorgometrie zum Zweiten in die Rennbahnklinik. Was zeigten nun die «harten» Fakten:

1.       Abbruchleistung

Während am 11.02.2021 die 3 min Stufe mit 370 Watt gerade noch beendet werden konnte, konnte ich am 6.09. die 400 Watt Stufe zumindest noch 22s fahren. Absolut eine marginale Verbesserung von 370 auf 374 Watt. 

2.       HF max und Laktat max

Gegenüber dem 11.02. lag die maximale HF bei 173 Schlägen/min und damit sieben Schläge tiefer. Der Abbruch-Laktatwert von 9.81 mmol/l weist aber darauf hin, dass eine Ausbelastung sicher erreicht wurde. M. E. war die hohe HF von 181 am 11.02. ein Artefakt – was auch mit der Beobachtung, weder im Training, noch im Wettkampf je HF Werte > 170/min produziert zu haben, konsistent ist.

3.       VO2 max

Hier fand eine Steigerung sowohl absolut, als auch relativ statt, wenngleich auch nur sehr marginal. Infolge eines etwas geringerem Körpergewichts war der Zuwachs an rel. VO2 max noch etwas deutlicher.

4.       IAS

Diese verschob sich um +4 Watt auf 313 Watt bei deutlich reduzierter HF (153 vs. 161). In der Praxis ist dieser Wert mit Vorsicht zu interpretieren. Erstens stammt er aus einer Spiroergometrie auf dem Fahrrad. Eine 1:1 Übertragung der Ergebnisse auf die Laufperformance ist ein bisschen wie Äpfel mit Birnen vergleichen. Zweitens sind diese Tests stark auf die VO2 max und Peak Performance ausgelegt. Sie geben nicht direkt Anhaltspunkte für eine Verbesserung der Dauerleistungsperformance. Ein Beispiel: Laufwettkämpfe bis 60 min Dauer absolviere ich durchaus mit einer durchschnittlichen HF von 162 – 163 was 94% meiner HF max entspricht!

Als Randbemerkung bleibt noch festzustellen, dass sich mein Körpergewicht aufgrund einer weiteren Reduktion meines Körperfettanteils um ca. 1.5 kg reduzierte und am Ende der Periode etwas unter 8% lag.

Kraftleistungen blieben in der betrachteten Periode unverändert. So verharrte meine Bankdrück-Performance stabil bei etwa 100 kg. Das intensive Ausdauertraining wirkte sich demnach nicht nachteilig auf Maximalkraftanforderungen aus.

Fazit

Im Verlauf eines sieben Monate langen Trainingsprogramms, ausgelegt auf die Maximierung meiner Leistungsfähigkeit, konnte ich meine absolute Performance nicht mehr nennenswert steigern. Dies zeigte sich bei Belastungen über 10 – 20 min. Trainingsdiagnostisch lässt sich dies wohl auch mit der allenfalls marginal gesteigerten VO2 max unterlegen (wobei bemerkt werden muss, dass im Spitzensportbereich ebenfalls keine wesentlichen Veränderungen der VO2 bei einzelnen Athleten im Verlauf eines Trainingszyklus beobachtet werden). Hier scheint mein «System» an Grenzen angelangt zu sein, welche sich alters- oder genetisch bedingt nicht mehr weiter verschieben lassen. Verbessert hat sich hingegen die Ausschöpfung der Leistungsreserven. Auch wenn ich hier Leistungsdaten aus Rad-Spiroergometrietests auf Laufperformance übertrage – hier fand im Bereich der vergangenen sieben Monate eine massive Verbesserung statt! Dauerleistungen, die am Anfang der Periode über 20 min durchgehalten werden konnten, können nun bis zu 60 min gehalten werden! Sowohl im Training, als auch im Wettkampf sehe ich Herzfrequenzen, welche immer näher an meine maximale HF kommen. Auch wenn ich mich auf Rad-Labordaten beziehe – meine maximale HF beim Laufen ist bei Sprintanforderungen etwa gleich hoch wie beim Radfahren. Entsprechend gehe ich davon aus, dass ich meine maximale HF sowohl beim Radfahren, als auch beim Laufen realisiere. Für mich phänomenal – nach 30 Jahren sportlicher Aktivität – heute bewege ich mich bei Laufwettkampfaktivitäten bis 60 min Dauer bei 94% meiner HF max. Von dieser Ausschöpfung hätte ich mit 20 Jahren geträumt! Darüber hinaus hat sich meine Regenerationsfähigkeit wesentlich verbessert – hier würde ich sogar von einem Life-time Maximum sprechen. Gesamthaft hat dadurch mein Wohlbefinden – insbesondere nach HIT Einheiten oder Wettkampfbelastungen – eine deutliche Verbesserung erfahren!

Welche Botschaft bleibt nun?

Nun – nicht nur in jungen Jahren, gilt: Der Umfang (LIT) ist die Pflicht, das regelmässige Setzen von intensiven Reizen (HIT) ist die Kür – vor allem im mittleren Alter.

PS: Wer sich für die Methodik der eingesetzten Leistungsdiagnostik interessiert, wird hier fündig: https://www.swissolympic.ch/dam/jcr:b15b191a-eb0d-46e8-b9c0-417b887a440d/Leistungsdiagnostik_Manual_160201_DE.pdf

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